Krise der Verteilung: Ungleichheit unter dem Brennglas der Digitalisierung

Artikel von Friederike Hildebrandt & Paul Robben in Digital die Welt retten?! - Handbuch für eine ökologische, digitale & gerechte Zukunft (S. 50).

Tech-Konzerne gehören zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Doch nur wenige Menschen profitieren davon und die globale Ungleichheit wächst. Vorschläge für mehr Gerechtigkeit in der digitalen Welt gibt es viele – von Steuern über demokratische Kontrolle bis hin zu alternativen sozialen Netzwerken und Plattformen.

Winter 2020 in Deutschland: Der zweite Corona-Lockdown bestimmt die Weihnachtszeit, die Geschäfte sind leer, viele Menschen arbeiten im Homeoffice und die Schulen bleiben zum zweiten Mal geschlossen. Doch Geschenke gibt es trotzdem. Bestellt und geliefert vom Versandriesen Amazon

Während der Pandemie konnten insbesondere Menschen mit mittlerem Einkommen dank ihrer Bürojobs sicher zu Hause bleiben. Paketbot*innen und Arbeiter*innen in den Versandzentren arbeiteten während der gesamten Zeit weiter vor Ort und auf der Straße. Dafür bekamen sie mit Glück etwas mehr als den sogenannten Niedriglohn von 35.000 Euro im Jahr. Im Fall der Paketbot*innen ist es häufig noch weniger: Sie bekommen nicht einmal 10 Euro pro Stunde und arbeiten häufig mehr als 10 Stunden am Tag. Immer wieder gibt es Berichte über nicht gezahlte Löhne, krankheitsbedingte Kündigungen und Arbeit ohne Vertrag oder Sozialversicherung.

Im Kontrast dazu sind die reichsten Menschen der Welt im Laufe der Pandemie noch reicher geworden. Jeff Bezos, Gründer und Geschäftsführer von Amazon, ver- diente im Jahr 2020 8,5 Millionen Dollar – pro Stunde. Selbst die besser bezahlten Mitarbeiter*innen in den Logistikzentren müssten für das gleiche Geld 280 Jahre arbeiten. Damit ist das Vermögen von Jeff Bezos, der bereits 2018 der reichste Mensch der Welt war, im ersten Corona-Jahr um weitere 75 Milliarden Dollar gewachsen.

Globale Ungleichheit im Aufwärtstrend

Der Fall von Jeff Bezos spiegelt nur den globalen Trend wider: Weltweit gingen im Jahr 2020 81 Prozent des Vermögenszuwachses an das reichste 1 Prozent der Weltbevölkerung. Dieser Widerspruch macht eine der größten Herausforderungen unserer Zeit deutlich: die wachsende globale Ungleichheit. Die Schere zwischen Arm und Reich ist heute größer als zu Beginn des 20. Jahrhunderts – einer Zeit, in der es in Europa überwiegend Monarchien gab und die Hälfte der Welt von grausamen Kolonialregimen ausgebeutet wurde. Heute besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung die Hälfte des globalen Vermögens, während sich die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung gerade einmal zwei Prozent teilt.

Um Ungleichheit zu verstehen, ist es wichtig, zwischen Einkommens- und Vermögensungleichheit zu unterscheiden. Beim Technologiekonzern Apple verdienen die Software- und Hardwareentwickler*innen über 100.000 Dollar im Jahr. Im Kontrast dazu beträgt dasJahresgehalt der Arbeiter*innen in den chinesischen iPhone-Fabriken von Foxconn knapp 1.300 Dollar. Gleichzeitig beschäftigt Apple allein in einer Fabrik in China mehr Arbeiter*innen als Ingenieur*innen insgesamt. Die Einkommen sind an unterschiedlichen Stellen der Wertschöpfungskette also extrem ungleich verteilt. Einkommensungleichheit wird häufig von Diskriminierung beeinflusst. So besteht in Deutschland immer noch ein Gender Pay Gap von 18 Prozent und weltweit von 17 Prozent.

Im Gegensatz dazu beschreibt die Vermögensungleichheit nicht das Einkommen, sondern die Immobilien, Rücklagen und Aktien, die eine Person besitzt. Viele große Vermögen wurden nicht erarbeitet, sondern vererbt und lagern nicht unter dem Kopfkissen, sondern werden von Eigentümer*innen und Banken investiert. Statistisch gesehen wird eine Person umso reicher, je mehr Vermögen sie investiert hat – auch ohne weiter dafür arbeiten zu müssen.

Was haben Google, Amazon und Facebook mit Ungleichheit zu tun?

Die globale Ungleichheit ist auf viele Faktoren zurückzuführen, darunter die Globalisierung, koloniale Kontinuitäten und fehlende politischen Vorgaben. Wissenschaftliche Studien belegen, dass auch die Digitalisierung und Tech-Konzerne die Ungleichheit verstärken. Sie beeinflussen maßgeblich die globale Wirtschaft und damit die Verteilung von Gewinnen, Wertschöpfung und Vermögen. Die GAFAM-Konzerne (Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft) haben 2018 Big Oil – die weltweit größten Ölkonzerne – als wertvollste Unternehmen der Welt abgelöst und ihre Gründer Zuckerberg, Elon Musk, Bill Gates und Jeff Bezos sind jeweils so reich wie das Bruttoinlandsprodukt ganzer Staaten. Aktuell hat die Digitalbranche zudem die größten Lobbyausgaben in der EU und versuchen massiv Einfluss auf europäische Politik zu nehmen.

Aktien

Doch wohin fließen die restlichen Gewinne der Tech-Konzerne? Vor allem niedrige Lohnkosten tragen zu den hohen Gewinnen der Digitalkonzerne bei. Die hohen Einnahmen kommen also nicht den Beschäftigten zugute; stattdessen werden die übrigen Gewinne an die Aktionär*innen ausgeschüttet. Diese haben entweder direkt oder indirekt über Fonds in Aktien der Konzerne investiert. Die Ungleichheit spiegelt sich auch im Aktienbesitz selbst wider: Eine Untersuchung der New York Times aus dem Jahr 2021 zeigte, dass die reichsten zehn Prozent die Hälfte aller Aktienwerte an der Wall Street besitzen.

Monopole & Plattformen

Ein weiterer Faktor für die wachsende Ungleichheit ist das Geschäftsmodell von Plattformen und ihre zunehmende Monopolisierung: Plattformunternehmen bieten keine eigenen Güter an, sondern lediglich einen Marktplatz (s. Infobox Digitale Plattformen). Ihr Geschäftsmodell funktioniert dabei nur, wenn es möglichst keine anderen Marktplätze für ihre Güter gibt. Deswegen kaufen sie konkurrierende Unternehmen auf und versuchen, die Nutzer*innen durch Netzwerkeffekte an sich zu binden und Teil ihrer alltäglichen Infrastruktur zu werden. Als Monopole können sie dann die Preise bestimmen und kleinere Konkurrenten verdrängen. Die günstigen Preise von Amazon für Bücher, Haushaltswaren oder Kleidung sind zum Beispiel einer der Hauptgründe für das Aussterben des Einzelhandels.

Steuern

Trotz hoher Gewinne zahlen die GAFAM-Konzerne kaum Steuern. Denn oft haben sie ihren offiziellen Firmensitz in Steueroasen. Die NGO Fair Tax Mark hat berechnet, dass Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Google und Microsoft zwischen 2011 und 2020 Steuern in Höhe von 149,4 Milliarden Dollar vermieden haben. Das ist mehr als das Doppelte der jährlichen Steuereinnahmen aller Gewerbe in Deutschland zusammen. Weil ihre Produkte ausschließlich digital sind, ist es für Digitalkonzerne besonders leicht, ihren Unternehmenssitz über Grenzen hinweg zu verlagern.

Automatisierung

Durch die Digitalisierung können außerdem in der gesamten Wirtschaft Aufgaben an Roboter und Computerprogramme ausgelagert werden. Das zerstört Arbeitsplätze und spart den Unternehmen Lohnkosten. Gleichzeitig entsteht mit den Click- und Crowdworker*innen ein neuer, prekär bezahlter Sektor.

Digitale Kluft – der „Digital Divide“

Gleichzeitig ist nicht nur der Gewinn, sondern auch der Zugang zur digitalisierten Welt ungleich verteilt. Weltweit haben nur 63 Prozent der Menschen Zugang zum Internet. Auch in Deutschland gibt es ganze Regionen ohne schnelle Internetverbindung. Auch hier sind ländliche Gemeinden, in denen häufig ärmere Menschen leben, stärker betroffen als reiche Kommunen und Städte.

Der Weg des Wohlstands der Digitalkonzerne hat also eine eindeutige Richtung: von unten nach oben. Mit einer Kombination aus niedrigen Löhnen, geringen Steuern und konzentrierter Marktmacht erzielen die Konzerne hohe Gewinne, die zum großen Teil den ohnehin schon wohlhabenden Menschen zugutekommen.

Welche Lösungen gibt es?

Digitale Konzerne sind ein Zahnrad im Getriebe der Ungleichheitsdynamik. Wenn die Gesellschaft als Ganzes vom Wohlstand und der Wertschöpfung der digitalen Industrie pro昀椀tieren soll, muss sich einerseits die Art und Weise ändern, wie Tech-Konzerne Gewinne erzielen, und andererseits müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die bestehende Ungleichheit anzugehen.

Steuerflucht verhindern!

Damit Konzerngewinne der gesamten Gesellschaft zugutekommen, müssen sie gerecht verteilt und digitale Güter und Dienstleistungen fair besteuert werden. Da ein Großteil der Gewinne mit Nutzer*innendaten generiert wird, muss es insbesondere für Länder im Globalen Süden möglich sein, Digitalzölle zu erheben. Gewinne, die die Konzerne mit den lokalen Daten machen, können so auch den jeweiligen Ländern dienen und fließen nicht nur in die Konzernzentralen im Globalen Norden. Zudem arbeitet die Europäische Union an einer globalen Mindeststeuer, um Steueroasen zu verhindern und insbesondere auch Digitalunternehmen zu verpflichten, mindestens 15 Prozent Steuern auf ihre Gewinne zu zahlen. Dies würde ein „Race to the Bottom“ verhindern, bei dem sich die Länder gegenseitig mit niedrigen Steuersätzen unterbieten, um Großkonzerne anzulocken.

Monopole entflechten!

Wiederholt versuchen Kartellbehörden, die großen Digitalunternehmen zu regulieren und einzudämmen. Die EU-Kommission verhängt immer wieder Rekordstrafen für digitale Unternehmen, die ihre Macht missbrauchen. So musste Google 2018 eine Strafe von 4,3 Milliarden Euro wegen Wettbewerbsmissbrauchs zahlen, weil es einen Smartphone-Hersteller zum Installieren der Google-Dienste gezwungen hatte. An den bestehenden Marktstrukturen ändern diese Verfahren derzeit jedoch nur wenig. Die Ent昀氀echtung von Großkonzernen als neues Instrument der Kartellbehörden könnte diese Konzernmacht brechen. Die Kartellbehörden könnten dann bereits vor einem Machtmissbrauch einschreiten. Dies wäre beispielsweise ein Instrument, um die Google-Suche unabhängig vom Betriebssystem Android oder dem Play-Store zu machen.

Vermögen umverteilen & Wirtschaft demokratisieren!

Mit Hilfe von Steuern und kartellrechtlichen Instrumenten kann die Macht der Tech-Konzerne begrenzt und ihre Wertschöpfung gerechter verteilt werden. Gleichzeitig muss auch das bestehende Vermögen umverteilt werden, um strukturelle Ungleichheit zu bekämpfen. Auf individueller Ebene sind eine starke Erbschafts-, Vermögens- und Finanztransaktionssteuer notwendig. Letztere würde einen sehr kleinen Prozentsatz von jeder Finanztransaktion an die Allgemeinheit zurückführen. Initiativen wie #TaxMeNow fordern zudem eine starke progressive Vermögenssteuer. All diese Maßnahmen würden dazu führen, dass Reichtum nicht weiter vererbt, angehäuft und von unten nach oben verteilt wird, sondern Mechanismen etabliert werden, die einen Teil des individuellen Vermögens und der Gewinne an die Gesellschaft zurückgeben. Auf der Unternehmensebene wird zunehmend die demokratische Kontrolle digitaler Kommunikations- und Wirtschaftsinfrastrukturen diskutiert. Ein Beispiel dafür ist die Twitter-Alternative Mastodon, die seit der Übernahme von X, ehemals Twitter durch Elon Musk in den Vordergrund gerückt ist. Genau wie jede E-Mail-Adresse ist Mastodon dezentral organisiert, das heißt alle Nutzer*innen können einen eigenen Server (eine sogenannte Instanz) aufsetzen. Aus diesem Grund gibt es auch keinen zentralen Konzern, der Gewinne abschöpfen, Daten der Nutzer*innen missbrauchen und Nutzer*innen durch einen Lock-in-Effekt an sich binden kann. Trotz der Dezentralität ist es möglich, mit allen Menschen, die auf verschiedenen Instanzen angemeldet sind, in Kontakt zu treten. Dies hat den Vorteil, dass sich auch kleine Communities bilden können, die dann auf ihrem Server ihre eigenen Regeln bestimmen und durchsetzen. Solche dezentralen Alternativen gibt es schon in zahlreichen Bereichen: Instagram könnte beispielsweise in Pixelfed überführt werden, WhatsApp in den Messenger-Dienst Element und Youtube in die Videoplattform PeerTube. Eine Dezentralisierung der großen Plattformen würde zudem die bisherigen Eigentums- und Gewinnverhältnisse durch neue, demokratischere ersetzen.

Digital und gerecht für alle – geht das?

In den 1990er Jahren wurde das Internet häufig als der „freieste Ort der Welt“ beschrieben: Nutzer*innen konnten plötzlich weltweit Informationen teilen, sich mit Menschen austauschen, die über Kontinente entfernt waren, und eine Identität unabhängig von Geschlecht oder Herkunft aufbauen. Im Internet sind alle Menschen gleich – so lautete das Versprechen. Doch wirklich frei ist das Internet gar nicht und es behandelt auch nicht alle gleich: Nutzer*innen zahlen im Internet mit ihren Daten, viele Menschen im Globalen Süden haben keinen Internetzugang und arbeiten unter unwürdigen Bedingungen für die Digitalwirtschaft und obwohl die Tech-Konzerne heute die wertvollsten der Welt sind, zahlen sie nur wenig Steuern und bieten prekäre Arbeitsbedingungen. Aber die Möglichkeiten der ersten Tage des Internets sind immer noch da. Nur der Weg dorthin ist komplexer geworden: Es braucht demokratisch organisierte Netzwerke, gerechte Arbeitsbedingungen, einen starken Datenschutz und politische Instrumente für mehr Gleichheit und gegen Machtkonzentration und Ausbeutung.

Was kannst du tun?

Wenn du das Internet und die Gesellschaft gerechter machen möchtest, kannst du dich hier engagieren und informieren:

  • Oxfam setzt sich gegen globale Ungleichheit ein.
  • #TaxMeNow ist eine Kampagne für eine höhere Besteuerung von Erbschaften und gesellschaftliche Umverteilung.
  • Make Amazon Pay ist eine Kampagne, die fordert, dass Amazon für Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung und Ungleichheit zur Rechenschaft gezogen wird.